Ruhetag 2:

Eine Pause vom Auf und Ab mit dem Rad – Ein Ab und Auf der Emotionen

Nach einer wohltuenden Nacht in geräumigen und klimatisierten Zimmern frühstückten wir wie gewohnt um 7:30 Uhr, obwohl heute der zweite Ruhetag auf dem Programm stand. Diesen wollten wir jedoch nicht dazu nutzen, uns auf die faule Haut zu legen. Da wir uns in unmittelbarer Nähe des geschichtsträchtigen Örtchens Oradour-sur-Glane befanden, wollten wir die Gelegenheit für eine Besichtigung wahrnehmen. Um 9:30 Uhr holten uns zwei Radler des Radsportvereins von Ambazac am Hotel ab.

Auf unserem Weg legten wir vor dem Schloss von Nieul, dessen Gründung ins 11. Jahrhundert zurück geht, eine kurze Pause ein.

 


Auf dem welligen Terrain staunten wir nicht schlecht, mit welcher Dynamik der uns begleitende 71-jährige Franzose über die Landstraßen fegte. 

Direkt vor unserer Ankunft in Oradour konnten wir schon Ruinen am Wegesrand erblicken – stumme Zeugen einer unbeschreiblichen Gräueltat.

Als 1944 die Alliierten in der Normandie landeten, zog unter anderem die SS-Division „Das Reich“ nach Norden. Dabei hinterließen sie eine Spur der Verwüstung, die noch heute in Oradour in einem besonderen Ausmaß zu sehen ist. Hier verloren binnen weniger Stunden 642 Zivilisten ihr Leben, das gesamte Dorf wurde in Schutt und Asche gelegt. 

Auf Weisung von Charles de Gaulle wurden die Ruinen als Mahnmal für kommende Generationen unverändert belassen. Ein neues Oradour wurde nur wenige Schritte entfernt errichtet.

Der Bürgermeister, Philippe Lacroix, empfing uns im Rathaus, wo uns Erfrischungsgetränke angeboten wurden. 


Zunächst picknickten wir jedoch gemeinsam mit Würdenträgern aus Ambazac, die extra mit dem Auto gekommen waren, in der Nähe des Rathauses.


Vor dem Gang durch das zerstörte Oradour passierten wir das „Centre de la Mémoire“. In einer „Opfergalerie“ werden hier anonyme Zahlen zu persönlichen Schicksalen: Fast jedem Opfer wird durch ein Bild seine Identität zurückgegeben. Besonders ergreifend war der Augenblick, als der Bürgermeister vor den Portraits mehrerer Familienangehöriger stand und dabei unterstrich, dass man sehr wohl zwischen Kriegsverbrechern und Deutschen unterscheide.

Noch überwältigt und schockiert von diesen Eindrücken kehrten wir zu unserem Hotel zurück und erfrischten uns noch schnell, bevor wir von Radsportfreunden aus Panazol, einem Vorort von Limoges, zu einem „Apéritif dînatoire“ in deren Vereinsheim eingeladen wurden.


Nach einigen Begrüßungsansprachen schenkten wir unseren Gastgebern als Zeichen der Verbundenheit von dem berliner Comiczeichner Mawil gestaltete Radkappen, bevor wir uns alle aufs Buffet stürzten.

Im weiteren Verlauf des Abends tauschten wir uns angeregt aus, maßen unsere Fähigkeiten beim Kickern und verabschiedeten uns von unseren neugewonnenen Freunden – schwer vorstellbar, welche Bandbreite der Gefühle dieser Ruhetag für uns bereithalten konnte.


Um die Konzentration hochzuhalten und auch bei der letzten Etappe eventuelle Unfälle zu vermeiden, gehen wir frühzeitig ins Bett: Morgen wollen wir schon um 8:00 Uhr starten, um die angekündigte Hitze soweit wie möglich zu vermeiden.

Wir sind froh unser Ziel bald erreicht zu haben, gleichzeitig aber auch wehmütig, dass sich unsere gemeinsame Zeit ihrem Ende nähert. In dem Bewusstsein, dass uns dieses Abenteuer dauerhaft verbinden wird, überwiegt jedoch die Vorfreude auf die Ankunft in Angoulême.

#niewieder

Michael Waldmann, Marco Birwe 22.07.2019